„Alle Jahre wieder eine Baumgeschichte.“

„Denkst du daran, dass wir die Autos tauschen?“, rief ich heute morgen noch dem aus dem Haus eilenden Kerl hinterher. Heute war es mal wieder soweit, etwa 14 Tage vor Weihnachten war traditionell Papabaumkauftag. Für den Transport eignete sich kaum ein Gefährt besser, wie unser altes Bullichen, dass nun schon über ein Jahr von mir kommend, in die Obhut meines Mannes übergegangen war. Hieß von der Lang-auf die Kurzstrecke und sicherlich fuhr er ihn auch sehr viel schonender als ich es jemals getan habe. Da die Kupplung sehr nah vor der Verabschiedung in die ewigen Jagdgründe steht, heißt, sie kaum noch trennt und der Rückwärtsgang immer wieder rausspringt, bin ich über den internen Wechsel der Gefährte nicht unglücklich. Ich bin diesem Wägelchen nicht böse, er hat fast 400 000 km auf dem Tacho und ist trotzdem unser zuverlässigstes Kamel, was auch immer an ihm kaputt geht, hat einfach seine Zeit überlebt. Gefahren bin ich mein Mörchen immer gerne, ich hatte nur nach einem Jahr mit mehreren Pannen, keine Lust mehr auf das ewige Warten auf den Godot des Abschleppunternehmens. Ich wartete also auf den Anruf meines Dads, der das Startzeichen zwecks alljährlicher Baumbeschaffung sein sollte. Gut das unsere Auffahrt eine leichte Schräge aufweist, der optimistisch eingeworfene Rückwärtsgang, sprang alle drei Versuche , ebenso schnell wieder raus, wie ich ihn einlegte. Damit war die Marschroute für die Tour zum Weihnachtsbaumguru ( „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum- für Paarbeziehungen (oft) ein Grau`n…“(Dezember 2014  ) nach Hamm klar. Immer geradeaus, nur keine Wendemanöver. Bedeutete für meine Eltern schon mal nicht vor der Haustür abgeholt werden, sondern neben dem Garten  eingestiegen und so geparkt , dass ich einfach vorwärts wieder aus dem Wohngebiet rausfahren konnte. Wir waren ein wenig spät, der Parkplatz auf dem der Tannenbaumverkauf stattfand, würde vermutlich proppe voll sein. Ich führte meinen springenden Rückwärtsnichtgang vor, um meine Ankündigung direkt neben dem Bauzaunbaumkarree mit Warnblinker parken zu wollen und wir uns noch hurtiger entscheiden müssten, zu untermauern. „Weißt du noch letztes Jahr?“, mein Vater schaute mich fragend an. „Jepp! Gleiches Wetter, wie heute, also nieseiig, viel zu warm und auch mal wieder wenig Zeit.“ „Letztes Jahr waren wir früher dran und nur ein einziger Käufer war vor uns dort.“ Das war eine sehr subjektive Retrospektive. Stimmt, aber der hatte mal eben 48  plus vier Bäume gekauft, mit zwei Helfern, die sich jeden einzelnen Baum haben zeigen lassen. Dann begann das Verpacken in kleine Netze und einer nach dem Anderen verschwand in dem 7,5 Tonner, der dort parkte, wo ich mich heute hinzustellen gedachte. Dazu fiel unaufhörlich ein steter. leiser Regen auf uns herab. Immer wenn wir uns unterstellen wollten, tauchten neue Käufer, die sich hätten vordrängeln können oder der Meister der Bäume rief:“Wartet, dauert nur noch eine Minute!“ Nach einer Dreiviertelstunde hatte sich der Regen durch Hartnäckigkeit durch unsere äußere Pelerine bis auf Haut und Knochen durchgearbeitet. Trotz auch damals fast subtropischer Temperaturen, setzte mit Dauer der Wartezeit und Grad der Durchnässung, auch das große Frösteln ein. „Eben noch kassieren, dauert nur eine Minute!“ Ja, ne ist klar. Er verschwand mit seinem Großkunden unter das Abdach eines Geschäftes und zog seine kleine schäbige Geldtasche hervor. 1325 und irgendetwas Zerquetschtes  betrug die Summe in etwa. Ein fruchtloser Versuch zu feilschen, Männerblabla, Gelächter, wir entwickelten uns derweil weiter in Ganzkörper Feuchtgebiete. Der Nieselregen hatte unsere Haare nach den Stufen mit mikroskopisch kleinen Tropfen benetzt wie ein Spinnennetz im Herbst, über zwei Farbtöne dunkler, weil nass, zu Wasser triefend , verwandelt. Unsere Laune im Keller. Immerhin waren wir einfach in das Karree eingedrungen und hatten uns drei Nordmänner  geschnappt und diese schon mal Richtung Netztrichter geschleppt. Was auch immer passieren würde, wir waren die Nächsten, wenn die paar Minütchen, denn dann mal herum sein sollten. Irgendwann hatten wir dann unsere Bäume inklusive Schwimmhäute, faltige Froschfinger mit Baumharzkruste und fuhren wieder gen Hause. Die Bäume waren wie jedes Jahr, jedes Opfer wert, gerade, kaum nadelnd und wunderbar voluminös. Im ersten Jahr mit unseren Katerkindern konnte ich die Flut von unzähligen lustigen Katzenvideos mit dem Sujet „Katzen und Tannenbaum“, nur stoppen, indem ich ein eigenes aufnahm und ins Netz stellte, mit der Überschrift“Bitte keine Katzenvideos mehr, habe ich jeden Tag besser, live und in Farbe.“ Im zweiten Jahr, stellte ich den Baum mit einiger Spannung schon etwas früher auf und ließ ihn ungeschmückt. Die Fruppsis verloren, wie gehofft diesmal sehr schnell das Interesse, gingen sie ja auch mittlerweile nach draußen, um ihr Mütlein zu kühlen. Also zündete ich eine neue Stufe in der Dekoration des immergrünen „Must have “ mit den beiden fidelen Piefkes.Ich würde von unbaputtbarer Deko in Jahr 1, auf die traditionelle, zerbrechliche  Glas- und Glitzernummer umstellen im Jahr 2. Ich leistete mir sogar nach dreizig Jahren wutschnaubenden Grabenkämpfen mit meiner 200 winzige Lichter Lichterkette, von der maximal die Hälfte noch funktionierte und der Rest sich ohne fremdes dazutun komplett zu vertüddeln vermochte, eine neue ZapfenLedLichterkette. Naja , eigentlich Zwei. Am Abend vor HeiligAbend dekorierte ich den Baum und war schier sprachlos vor Begeisterung, wie einfach Lichterkette gehen kann, wenn man technisch ins 20 Jahrhundert eintaucht. Heilig Abend , Kaminchen lodert, Familienbesuch erledigt, Weinchen am Start, der Blick zufrieden und dankbar  in Richtung glitzerndes, lichterhelltes Bäumchen. „Schau mal, die neuen Lichterketten haben sich echt gelohnt, Die Wärme des Lichts ist auch genau richtig trotz Led. Was sagst du?“, ich wand mich nur ungern vom Bäumchen weg und meinem Süßen zu. Er nickte, vermutlich hatte er den Baum erst bemerkt, nachdem ich explizit darauf hingewiesen hatte. Im Augenwinkel verschwommen die vielen bernsteinfarbenen Lichtlein zu gleißenden Sternen, ich war hin und weg. In diesem Moment verabschiedete sich die obere Lichterkette und die vielen Lichtlein erstarben von jetzt auf gleich. Ich setzte mich auf und zeigte auf den zweigeteilten Baum, der nun nur noch ein glänzendes Unterröckchen trug und oben herum merkwürdig dunkel und nackt im Raume stand. „Aber…Was…?!“, ich deute stumpf und vorwurfsvoll in Richtung Baum, stand auf, um die Fehlerquelle zu eruieren. Wie in den guten alten Zeiten,  versuchte ich nun  die vielleicht lose Kerze wieder fest in ihre Fassung zu drehen. Ging natürlich nicht bei Led,  ich suchte die Wandseite des Baumes auf, um die Stromquelle zu checken. Dazu musste ich auf alle Viere und einen Teil der unteren Zweige zu Seite schieben. Ich schob also , halb im Baum hängend , mein Sichtfeld frei und blickte in die riesigen, grünlichen Augen von Ellwood . Er  verharrte kurz, schaute zurück und sein Blick und seine leuchtend rote Nase, zeugten von einer inneren Erregung und einem typisch krusen Elligedanken. Er reckte kurz und irgendwie herausfordernd sein Kinn in die Höhe, dann öffnet er sein Mäulchen, entblößte die Reihe seines perlweißen Killerbestecks, hob mit einer Pfote die Schnur der zweiten Lichterkette und legte sein Köpfchen schief. Ich erstarrte in Agonie, aber kurz bevor er auch noch die zweite Lichterkette lahmlegen, indem er die Schnur durchtrennte und sich dabei unter Strom zu setzen vermochte, schrie ich ihn an:“ELLI HEIß!! AUAAua, aua…“. Wie erhofft, ließ er von der Schnur ab, drehte sich mit erhobenen Stert von mir weg und wanderte in Erwartung einer Belohnung in die Küche. „DER kostet mich Nerven! Du musst was machen. Der hätte TOT sein können.“ „Quatsch, da ist ein Adapter zwischen geschaltet, damit dem bekloppten Kater nichts passieren kann.“ „Dann hol gefälligst ein Kabeldingsreparaturtüddellütt und mach wieder heile.“ „Falls du mit Kabeldings eine Lüsterklemme meinst, kein Problem.“ Er verschwand in den Tiefen des Kellers und ich begann das überhängende Kabel so zu verstauen und fest zu frieseln , auf dass  dem irren Catweazle nicht noch einmal gelingen würde einen Elektrik Trick zu landen. Die Kette wurde repariert und der Baum musste ansonsten nur wenige Federn lassen, im Vergleich zum Teilchen des desaströsen Vorjahres. Wie es dieses Jahr aussehen wird. Man weiß es nicht, aber die Wetten laufen.Der beste Bruder und seine Liebste nun auch frisch gewordene Katzenelltern verzichten in diesem Jahr auf ihren Baum mit Hinweis auf unsere Erfahrungen. Keine Ahnung, was die meinen….dsc_0007 Erst einmal mussten wir ja noch einen Baum käuflich erwerben , bevor wir über das Ausmaß seiner diesjährigen  Zerstörung nachdenken konnten. Wir fuhren also nach Hamm, über unzählige Baustellen, die gegen Ende eines jeden Jahres sehr en vogue sind, selbstredend immer geradeaus, da rückwärts ja keine Option darstellte.Wir kamen an und ich parkte genau dort, wo ich es mir vorgenommen hatte, im Weg, aber passierbar. Ich öffnete die Heckklappe, lächelte meine Ma an und sprang dem Jäger des verlorenen Baumes hinter her, der schon zielsicher den ersten Baum in der Hand hielt. Der zweite Baum war ebenfalls schnell gefunden, während er eingetütet wurde, schleppte ich den Anderen schon mal zum Wagen. Gerade als ich ihn hinein hieven wollte, tauchte mein irgendwie derangiert wirkender Vater hinter mir auf. „Ähm, hast Du vielleicht Geld eingesteckt?“ In seiner Stimme lag eine Mischung aus Verzweiflung und Erstaunen. „Ja klar? Wieviel?“ „50.- Euro?!“ Ich zückte mein Portemonnaie und zählte 45 Euronen an Scheinen und kramte noch in meiner Hosentasche nach Klimpergeld. Letztlich hatte ich genau 48 Euro 30 Cent. Verdammt, auf den Deal ein paar Zweige vom Baum abzuschneiden oder sie Spitze dazu lassen, ließ sich der Baummann natürlich nicht ein. „Wo ist denn hier die nächste Bank?“ „Im Rewe ist eine Postbank.“ „Aber da bekomme ich doch kein Geld, wenn ich keine Kundin bin.“ „DOCH!“,kam es zweistimmig zurück. Was soll die Blondine zwei älteren Herren, die derart überzeugt waren, entgegen setzen? Nichts, stimmt. Ich spurtete also in den Laden, riss schon während des Sprints meine Börse, um sie gleich griffbereit zu haben, aus meiner Jackentasche. Unsanft lief ich auf eine Schlange auf. Ich lugte, nachdem ich mich entschuldigt hatte, an der Menschenmenge vorbei und erkannte zu meinem Entsetzen, dass Alle für den Schalter an der Postbank anstanden. Und vier von sechs Wartenden hatten ein Paket in der Hand, die anderen Zwei sollten , wie sich später herausstellte,  Briefmarken unterschiedlichen Wertes und mit oder ohne Sonderdruckes erwerben. Ich wartete. Endlich an der Reihe, wedelte ich mit meiner EC Karte und fragte die junge Frau hinter dem Tresen:“Entschuldigen Sie, aber kann ich mit dieser Karte hier Geld abheben?“ Sie schüttelte, wie zu erwarten war, ihren hübschen Kopf. „Nein, aber, wenn sie für den Warenwert von 20.- Euro im Rewe einkaufen, können sie dort an der Kasse Geld abheben.“ Ich blickte nun meinerseits kopfschüttelnd auf die drei geöffneten und zum Bersten vollen Kassen. Jetzt durch den Laden, irgendeinen Mist zusammen raffen im Wert von 20 Euro um 1,70.- Euro  für eine Baumspitze zu erhalten. Nein, das musste auch anders gehen. Ich lief auf den Parkplatz und fragte dort Jemand nach der nächsten Volksbank oder wahlweise einem EC Automaten. Es waren zwei Frauen, die mir sehr freundlich den Weg erklärten. Bei den Erklärungen war ein riesiges Problem, dass ich mich in Hamm Herringen, aber sowas von gar nicht auskenne und die Damen keine Straßennamen kannten, die wiederum mein Navi im Handy gebraucht hätte, um mich zur Bank zu lotsen. Sie erklärten also sehr ausführlich, wo ich, wie und wann, rechts oder links abbiegen, über wieviel Ampeln ich queren müsste. Ich versuchte ihren Ausführungen zu folgen, vom Parkplatz links, dann bis zur Kreuzung , über die Ampel, links und Aaaahhrrgghhh. Ich versuchte möglichst zuversichtlich zu schauen und bedankte mich bei den beiden hilfsbereiten Damen. Ich drehte mich um meine eigene Achse, um zumindest die ersten drei Linksschwenks nachzuvollziehen , die ich mir merken konnte, als ich  in der Bewegung einfror. Ich schaute über den Parkplatz, leicht schräg über eine Straße und auf der anderen Straßenseite in maximal 12 Metern Entfernung sah ich Sie, unübersehbar, stolz und nahbar. Eine Volksbank. In Spuckdistanz.  Ich atmete tief ein, um zum Sprung über die Straße anzusetzen, als mich eine Hand an der Schulter packte. Der beste Dad, leicht schuldbewusst. „Stop, ich habe schon bezahlt. Und die Bäumchen sind auch schon eingeladen..“ „Wie hast du das denn gemacht?“ „Na ja, ich habe nach meiner Brille gegriffen und irgendwie, ich weiß auch nicht wie, steckte das Portemonnaie in der Tasche, wo auch das Brillenetui war. Da habe ich es noch nie hinein gesteckt, ehrlich!“ „Ach kein Problem, kann passieren. Aber warum habt ihr mich nicht direkt zur Volksbank geschickt? Dann hätte ich mir die Warterei bei der Postbankschlange nämlich schenken können. Da bekomme ich nämlich kein Geld.“ „Also , ICH habe dich nicht zur Postbank geschickt , ich habe VOLKSBANK gesagt und überhaupt, warum bekommst du da kein Geld?“ Ne is klar. Da bin ich ganz alleine drauf gekommen, in einem Laden, in einer Stadt, die ich nicht kenne, nach einer Bank zu suchen, bei der ich weder Kunde bin, noch wusste, das sie in diesem Laden eine Zweigstelle haben. Völlig gleichgültig, er hatte langsam wieder seine normale Hautfarbe. Ich griente in mich hinein, wie schön, dass er langsam wieder Oberhand gewann. Ich nahm seine Hand und zog ihn zum Auto. Wir blockierten den Parkplatz nun lange genug und Mama war schon leicht eingenickt, ob der Warterei. Wir fuhren vom Parkplatz und nach Hause. Ab und an schüttelte er sein weises Haupt, als könnte er immer noch nicht glauben, dass ausgerechnet ihm das passiert war. Ja, ja. So sind sie.Sie kosten ja manchmal Nerven. Aber, mal ehrlich- wenn sie einen dann einmal kurz anlächeln, dann sind alle Mühen vergessen.

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